Wird alles anders?
16. Aug 2015 • News • psyma
Konsumforschung hat sich im Zeitalter von Vernetzung, Interaktion und Prosumertum verändert – oder nicht? Die Marktforschung greift zwar die Entwicklungen auf. Auf bewährte Qualitätsmaß- stäbe etwa bei der Anonymitätszusage wird aber nicht verzichten>>> Zum Artikel <<<
Früher war natürlich alles einfacher:
Die Akzeptanz von Werbung, Produkten etc. konnte man problemlos mit einer Befragung von Konsumenten erheben und auf dieser Basis mit einem optimierten Konzept den Markterfolg sichern. Sicher haben sich auch damals Herausforderungen gestellt, nicht zuletzt durch geringere logistische und technische Möglichkeiten. Aktuell haben wir es nun allerdings mit einem massiven Paradigmenwechsel zu tun. Die umfassende Verfügbarkeit von Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten in Verbindung mit einer Echtzeitvernetzung führen im Extremfall dazu, dass Optimierungen in Echtzeit erfolgen (müssen). Welche Herausforderungen stellen sich in diesem Zusammenhang für die Konsumforschung?
Konsument sitzt am längeren Hebel
- Der Konsument will mitreden: Viele Verbraucher identifizieren sich mit denen von ihnen genutzten Produkten und Marken und tragen gerne zu einer Weiterentwicklung bei. Hoch involvierte Kunden und/oder Produktexperten verfügen über ein fundiertes (Anwendungs-)Wissen, das neben dem Wissen der internen Stakeholder (also etwa Produktentwickler oder Vertriebsmitarbeiter) zur Verfügung steht und durch digitale Kanäle leicht verfügbar ist und oft geteilt wird.
- Der Konsument kann mitreden: Die heutigen Kommunikationskanäle ermöglichen eine unmittelbare Kritik bei Unzufriedenheit. Neben dem eher unerwünschten Kommunikationseffekt erhält man so aber auch schnelles Feedback über Funktionsprobleme gerade bei Produktlaunches.
- Echtzeitkommunikation: Sofortiges Feedback sowie die Echtzeitverarbeitung von Konsumentenverhalten geben dem Marketing keine Schonfrist zum Nachdenken. Wer es versteht, besonders schnell zu reagieren, hat einen klaren Wettbewerbsvorteil. Daraus ergeben sich für die Marktforschung folgende Anknüpfungspunkte. So gilt es, frühzeitig im Entwicklungsprozess ansetzen: Eine Evaluierung bereits existierender Konzepte oder bereits im Markt befindlicher Produkte ist viel zu spät. Marktforschung sollte verstanden werden als laufende Aktualisierung von Konsum-/Konsumenten-Know-how. Sie ist bereits Input für erste Ideen und diese sollten forscherisch begleitet werden, ohne sie abzuwürgen. Ein Einbeziehen kann über Co-Creation beziehungsweise Kunden-Communities erfolgen. Dies kann wertvolle Insights liefern, birgt aber auch das Risiko, Bewertungsexperten heranzuziehen, die mit normalen Usern wenig gemeinsam haben. (Repräsentative) Validierungsstudien in der Zielgruppe sollten also nicht vergessen werden. Konsumenten sind nicht die einzigen Wissensquellen im Unternehmen. Neben der Konsumentenperspektive gibt es ein vielfältiges internes Produkt-, Technologie- und Marktwissen sowie vorhandene Prozesse, die Marktforscher erst einmal sichten und einbeziehen müssen. Daher sind auch interne Stakeholder wichtige Zielgruppen für Marktforschungsprojekte. Neben diesen Verfahren hat Social Media-Monitoring einen Platz im Instrumentenkasten der Marktforscher gefunden. Die Erfassung und Analyse von ungefilterten Meinungen kann wertvolle, zeitnahe Anregungen geben. Eine Einordnung ist jedoch oft nicht leicht, denn die Akteure können nur schwer beschrieben und ihr Umfang nur schwer eingeschätzt werden. Ihren vollen Effekt entfalten Social Media-Analysen erst dann, wenn sie durch andere Marktforschungsansätze ergänzt beziehungsweise angereichert werden. Quantitative Ansätze können das vorgefundene Meinungsspektrum validieren, Zielgruppen konkret beschreiben und quantifizieren. Qualitative Verfahren können Ursachen und Auswirkungen ergänzen.
Social Web: Informationsflut bändigen
Der Aspekt Echtzeitkommunikation verdient noch eine gesonderte Behandlung. Idealerweise lassen sich in Echtzeit Konsumentenbedürfnisse erkennen und Angebote daran anpassen (Big Data). Unter diesen Bedingungen kann Marktforschung überflüssig werden, weil keine Primärforschung/Datenerhebung mehr erforderlich ist. Das ist aber ein Trugschluss, der durch eine Begriffsverwirrung ausgelöst wird: Es werden ja nicht Konsumentenbedürfnisse in Echtzeit erfasst, sondern nur Verhalten (das macht den Vorgang nicht uninteressant, aber unvollständig). Angebote können auch meist nicht in Echtzeit optimiert werden. Produkte müssen immer noch in akribischer intellektueller Feinarbeit entwickelt und passende Produktions- und Distributionsprozesse gefunden werden.
Big Data: Korrelation, nicht Kausalität
Was fehlt also? Big Data ist – wie viele Analyseverfahren – Korrelation und nicht Kausalität. Korrelationen sind wertvoll und Kernelement vieler Marktmodellierungen. Allerdings sollte man in regelmäßigen Abständen auch kausalen Zusammenhängen auf den Grund gehen, damit man nicht von Korrelationen ohne Vorwarnung in die Irre geführt wird. Es ist zu klä- ren, ob die Korrelationen einem realen Wirkungszusammenhang entsprechen. Unter welchen Bedingungen gilt das? Unter welchen Änderungen der Umgebungsbedingungen ändern sich auch die Korrelationen? Für welche Zeiten, Räume, Zielgruppen gelten diese Zusammenhänge – und für welche nicht? Aus diesen Gründen erfreuen sich seit längerem qualitative Verfahren wie Ethnographie einer großen Beliebtheit. Auch Verfahren und Erkenntnisse der Sozialpsychologie sowie der Behavioral Economics erfahren eine Renaissance. So kann unter anderem mittels Experimenten abgeleitet werden, wie Akteure in bestimmten Situationen oder auf bestimmte Stimuli wie etwa Werbebotschaften (re)agieren. Der Generalisierbarkeit dieser Erkenntnisse sind Grenzen gesetzt, aber sie sind eine wichtige Facette, die für rein quantitativ-datengetriebene Verfahren die entsprechenden Leitplanken setzen. Andere Ansätze basieren auf Heuristiken oder mathematisch-statistischen Verfahren.
Gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen
Datenschutzskandale, Ausspähen durch die NSA oder andere Datenkraken haben für die Marktforschung eigentlich keine negativen Auswirkungen. Der Disziplin kann durch ihre strikte Anonymitätszusage für Vertrauen werben. Befragte müssen nicht befürchten, dass ihnen unmittelbar etwas verkauft werden soll oder der Werbedruck erhöht wird. Die Umfrageteilnehmer müssen wissen, dass sie darauf unter allen Umständen vertrauen dürfen. Daher wendet sich die Branche auch gegen alle Versuche, das Anonymisierungsgebot aufzuweichen. Gerade im Bereich Kundenzufriedenheit gibt es immer wieder Ansätze, die eine personenbezogene Vorgehensweise propagieren, etwa in dem die Ergebnisse von Kundenzufriedenheitsbefragungen personenbezogen und identifizierbar abgelegt werden. Das mag für die unmittelbare Kommunikation mit Verbrauchern Vorteile bieten, forscherisch ist das eher hinderlich. Zum einen können dann befragtenseitig keine unbefangenen Antworten mehr erwartet werden, zum anderen reichen aggregierte Analysen für den Erkenntniszweck – welche Teilgruppe hat welche Bedürfnisse und wie werden diese aktuell erfüllt – völlig aus. Nur aus dieser Perspektive können Produkte und Dienstleistungen weiterhin nachhaltig optimiert werden. Dr. Frank Knapp gungen kann Marktforschung überflüssig werden, weil keine Primärforschung/Datenerhebung mehr erforderlich ist. Das ist aber ein Trugschluss, der durch eine Begriffsverwirrung ausgelöst wird: Es werden ja nicht Konsumentenbedürfnisse in Echtzeit erfasst, sondern nur Verhalten (das macht den Vorgang nicht uninteressant, aber unvollständig). Angebote können auch meist nicht in Echtzeit optimiert werden. Produkte müssen immer noch in akribischer intellektueller Feinarbeit entwickelt und passende Produktions- und Distributionsprozesse gefunden werden. Big Data: Korrelation, nicht Kausalität Was fehlt also? Big Data ist – wie viele Analyseverfahren – Korrelation und nicht Kausalität. Korrelationen sind wertvoll und Kernelement vieler Marktmodellierungen. Allerdings sollte man in regelmäßigen Abständen auch kausalen Zusammenhängen auf den Grund gehen, damit man nicht von Korrelationen ohne Vorwarnung in die Irre geführt wird. Es ist zu klä- ren, ob die Korrelationen einem realen Wirkungszusammenhang entsprechen. Unter welchen Bedingungen gilt das? Unter welchen Änderungen der Umgebungsbedingungen ändern sich auch die Korrelationen? Für welche Zeiten, Räume, Zielgruppen gelten diese Zusammenhänge – und für welche nicht? Aus diesen Gründen erfreuen sich seit längerem qualitative Verfahren wie Ethnographie einer großen Beliebtheit. Auch Verfahren und Erkenntnisse der Sozialpsychologie sowie der Behavioral Economics erfahren eine Renaissance. So kann unter anderem mittels Experimenten abgeleitet werden, wie Akteure in bestimmten Situationen oder auf bestimmte Stimuli wie etwa Werbebotschaften (re)agieren. Der Generalisierbarkeit dieser Erkenntnisse sind Grenzen gesetzt, aber sie sind eine wichtige Facette, die für rein quantitativ-datengetriebene Verfahren die entsprechenden Leitplanken setzen. Andere Ansätze basieren auf Heuristiken oder mathematisch-statistischen Verfahren.
Zum Author:
Dr. Frank Knapp ist Mitglied des Vorstands der Psyma Group AG. Zudem ist er Vorsitzender des BVM Berufsverband Deutscher Marktund Sozialforscher e.V. Seine Themen sind u.a. die Evaluation von E-Business-Konzepten, (Web-) Usability sowie Kundenzufriedenheitsmessung.